30.04.2025

Taiwan Today

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Ein Haus für die moderne Kunst

01.07.1993
Der progressive Bau des der Taipeier Stadtverwaltung unterstellten Mu­seums moderner Kunst befindet sich direkt im Herzen der Stadt. Seit seiner Eröffnung 1983 verzeichnet es einen Zustrom von 700 000 Besuchern pro Jahr.
Die Städtische Kunsthalle Taipei (Taipei Fine Arts Museum) feiert in diesem Jahr ihr zehnjähriges Bestehen.

Am 24. Dezember 1983 wurde auf einem Areal im Norden von Taipeis Innenstadt ein ungewöhnliches Gebäude seiner Bestimmung übergeben. Nicht nur befand (und befindet) es sich in prominenter Lage, an Taipeis Nord-Süd-Achse Chungshan North Road, gegenüber dem damaligen Zoologischen Garten, unmittelbar vor der Brücke über den Keelung­-Fluß und mit Blick auf das Grand Hotel und die dahinterliegende grünüberwucherte Bergkette. Vielmehr dürfte es auch Taipeis bis dahin auffallendstes Experiment auf dem Gebiet der architektonischen Moderne gewesen sein (kurz bevor sie auch hier von der Postmoderne überrollt wurde): mit seinen nackten, scharfkantig-weißen, kompliziert ineinander verfugten Baukörpern, manche davon kühn in die freie Luft vorstoßend, bot es sich dem Betrachter in spektakulär monumentaler Kraftgebärde dar.

Die Rede ist von der Städtischen Kunsthalle Taipei, welche mit ihrem englischen Akronym auch einfach TFAM genannt wird. Sie reihte sich mit ihrer Eröffnung als jüngstes Mitglied in eine Museumslandschaft ein, die man sonst eher mit solchen Hütern ehrwürdiger Kulturschätze wie dem Palastmuseum und dem Historischen Museum in Verbindung bringt. Die Städtische Kunsthalle war und ist dagegen ausdrücklich der Pflege der Gegenwartskunst gewidmet - auch wenn sie die Bezeichnung "moderne Kunst" nicht im Namen führt. Eher als mit den obengenannten Museen sollte sie daher mit jener "neuen Generation" kultureller Einrichtungen zusammen gesehen werden, die in den achtziger Jahren begründet wurden, um dem wirtschaftlichen Aufschwung Taiwans eine stärkere Förderung des Kulturlebens zur Seite zu stellen - hierzu gehören etwa das Nationaltheater und die Nationale Konzerthalle, der Neubau der Zentralbibliothek, Kulturzentren in allen Kreisstädten, das Museum für Naturwissenschaften und Technik in Taichung und nicht zuletzt, ebenfalls in Taichung, ein wichtiges "Parallelunternehmen" zur Taipeier Kunsthalle: das 1984 eröffnete Kunstmuseum der Provinz Taiwan(台灣省立美術館).

Es war unter der Ägide des damaligen Oberbürgermeiters von Taipei, Lin Yang-kang(林洋港), daß 1976 zuerst der Beschluß gefaßt wurde, in der Stadt ein Museum für moderne Kunst zu schaffen. Seine Aufgabenbeschreibung: das Sammeln und Erforschen moderner Kunst Taiwans vom frühen 20. Jahrhundert bis heute, die Förderung lokaler Gegenwartskunst, der internationale Austausch von Ausstellungen sowie museumpädagogische Öffentlichkeitsarbeit. 1978 wählte eine Jury den Entwurf des Architekten Kao Erh-pan(高而潘)für den Museumsbau aus, der in füntjähriger Bauzeit fertiggestellt wurde. Bis heute ist das TFAM das einzige Museum, das der Stadtverwaltung von Taipei untersteht.

Der Besucher nähert sich dem Museumsgebäude (dem, aller prononcierten Modernität zum Trotz, nach Aussage seines Schöpfers die Idee des chinesischen Hofhauses zugrunde liegt) über einen stufenförmig ansteigenden Platz, der zugleich als Ausstellungsfläche für häufig wechselnde Skulpturen dient und darüber hinaus, vor allem an Wochenenden, als Treffpunkst, Trainingsfläche und Fotografierhintergrund für Paare, Großfamilien, Volkstanzgruppen und ganze Schulklassen. Gleich nebenan liegt ein vom Museum verwaltetes weiteres bekanntes Bauwerk der Stadt, stilistisch der Kunsthalle diametral entgegengesetzt: eine kleine, romantisch verwinkelte Fachwerkvilla im Tudorstil, die 1913 (ein unverbürgtes Gerücht sagt: von einem englischen Architekten) für einen reichen Teegroßhändler errichtet wurde. 1988 zog der vom Museum organisierte "Künstlerclub" in das renovierte Gebäude ein, und seit 1990 beherbergt sein Erdgeschoß ein ausgesprochen beliebtes Café.

Direkt neben dem avantgardistischen Großgebäude befindet sich eine schmucke Fachwerkvilla, die ein beliebtes Café und den "Künstlerclub" beherbergt.

Wer das Museum betritt, den empfängt zunächst eine riesige, an drei Seiten großzügig verglaste Eingangshalle, deren Höhe alle drei oberirdischen Geschosse umfaßt und die zugleich die Treppenanlage beherbergt. Vorbei an einem glasumzogenen, eine Ebene tiefer im Untergeschoß gelegenen Innenhof (hier wird die Hofhaus-Idee verständlicher) und zwei flankierenden, ebenfalls durch Glaswände abgetrennten Skulpturenhöfen gelangt man von dort aus zu einer Folge großer Ausstellungssäle, den mit einer Grundfläche von insgesamt 3259 m2 größten, die das Museum aufzuweisen hat. Ganz anders angelegt sind die beiden über eine Rolltreppe erreichbaren Obergeschosse; sie bestehen im wesentlichen aus gegeneinander versetzten Systemen von jeweils vier langgestreckten Gängen, die sich in Form des chinesischen Zeichens(井)ching ("Brunnen") rechtwinklig kreuzen und an ihren hervorragenden Enden - ein ausgesprochen wirkungsvoller Effekt in große Fensterwände münden, welche dem Betrachter wie in ausschnitthafter Rahmung ein stets anderes "Bild" der Stadt Taipei präsentieren. So weitläufig diese Ausstellungsfluchten auch sind, sie erscheinen dennoch gleichermaßen für intime wie für monumentale Formate geeignet, und sie gehören - auch bedingt durch eine günstige Beleuchtung - sicherlich zu den geglücktesten Charakteristiken des Museums. Schließlich das Untergeschoß, in dem sich weitere Ausstellungssäle, ein geräumiges Auditorium, Unterrichtsräume, die Bibliothek des Museums und auch eine Cafeteria befinden; gleichfalls in den Untergeschossen sind der Verwaltungstrakt und, nicht zu vergessen, der "Bauch" des Museums, die Depoträume untergebracht.

An der Spitze des TFAM - mit etwa 180 Mitarbeitern und einem Jahresetat von 7 Millionen US$ eine Organisation von beachtlicher Größe - steht seit 1986 Huang Kuang-nan(黃光男). Der 49jährige verbindet in seiner Persönlichkeit eine Reihe recht unterschiedlicher Facetten: Selbst ein aktiver, durch eine Reihe von Ausstellungen bekannt gewordener Maler, ist er auf wissenschaftlichem Gebiet durch seine Forschungen zur Malerei der Sung-Zeit (960-1279) hervorgetreten, und er beschäftigt sich zugleich intensiv mit Fragen des modernen Museumsmanagements, worüber er ein Buch veröffentlicht hat. Doch weit mehr als den Typus des "Kulturmanagers" verkörpert Huang einen mit wahrhaft religiösem Sendungsbewußtsein erfüllten Kämpfer für die Sache seines Hauses und der modernen Kunst auf Taiwan, der mit seiner Energie und seinem missionarischen Eifer das Museum - und, was das betrifft, jeden Gesprächspartner - in Atem hält.

Huang Kuang-nan's erklärter Ehrgeiz ist es, das TFAM möglichst rasch in eine Reihe mit den großen Museen moderner Kunst in West und Ost zu stellen. "Was andere in hundert Jahren erreicht haben, das müssen wir in zehn Jahren schaffen!" erklärt er. Doch unzweifelhaft ist auch, daß in Taipei der Fall in mehrfacher Hinsicht anders liegt als bei den meisten Kunsthäusern der Welt.

Das beginnt bereits bei der Frage, wie die Begriffe "moderne Kunst" bzw. "Gegenwartskunst", auf den konkreten Ort Taiwan bezogen, eigentlich zu definieren seien. Die Antwort darauf kann verschieden ausfallen. Da gibt es zunächst die ungebrochen fortbestehende Tradition der klassischen chinesischen Malerei und Kalligraphie. Dann eine mehr oder minder realistische Kunst in westlichen Techniken (z. B. Ölmalerei), deren Geschichte im frühen 20. Jahrhundert beginnt und die im akademischen Bereich, in der konservativeren Galerieszene und bei bestimmten Wettbewerben bis heute eine dominierende Rolle spielt. Dem steht die im eigentlichen Sinn "moderne" oder "avantgardistische" Kunst gegenüber, die, obgleich stark an westlichen Entwicklungen orientiert, in den letzten Jahren auch deutliche Emanzipationsbestrebungen von fremden Vorbildern erkennen läßt. Im Dreieck dieser friedlich, aber berührungslos koexistierenden Traditionsstränge - ebenso wie selbstverständlich auch im Dialog mit der internationalen Kunstentwicklung - liegt der Arbeitsbereich des Taipeier Museums.

Außerdem ist die Kunsthalle, anders als andere, vornehmlich die Präsentation und den Ausbau ihrer Bestände pflegende Museen, ihrer Konzeption nach vor allem ein Haus für wechselnde Ausstellungen. Daß sie dennoch über eine Sammlung von derzeit über 1900 Einzelstücken verfügt, fällt deshalb weniger ins Auge, weil davon jeweils nur etwa zehn Prozent zur gleichen Zeit gezeigt werden. Gesammelt werden, der Aufgabe des Museums entsprechend, in erster Linie Werke hiesiger Künstler vom Beginn dieses Jahrhunderts bis heute, gefolgt von Arbeiten im Ausland lebender Chinesen. Erst an dritter Stelle der Prioritätenliste stehen Werke der internationalen Moderne. Neben Gemälden, Plastiken und Graphiken verfügt das Museum auch über eine Fotosammlung, die es derzeit zielstrebig auszubauen bemüht ist.

Dagegen bestehen noch keine konkreten Absichten, den vorgegebenen Rahmen in größerem Stil zu überschreiten und beispielsweise - wie manche japanische Museen - eine repräsentative Kollektion von Werken der klassischen Moderne aufzubauen. Immerhin gibt es Überlegungen und Ansätze in dieser Richtung; so wurde kürzlich aus Deutschland eine Bronzeplastik Hans Arps erworben. Doch trotz eines Anschaffungsetats von jährlich 1,6 Millionen US$ würden es die derzeitigen Verhältnisse auf dem internationalen Kunstmarkt kaum erlauben, Werke dieser Art in größerem Maßstab zu sammeln. Eine weitere sinnvolle Möglichkeit, die bestehende Sammlung zu ergänzen, nämlich der Erwerb zeitgenössischer Kunst Festlandchinas, verbietet sich augenblicklich noch aus politischen und rechtlichen Gründen. Vor allem jedoch verhindern die starren Vorschriften der Stadtverwaltung, die ein umständliches "Herunterhandeln" des Preises und langwierige Kontrollen vorsehen, eine flexible und gezielte Anschaffungspolitik.

Es bleibt also zunächst dabei, daß die Hauptanziehungskraft des Museums in seinen Ausstellungen besteht - und das muß schließlich nicht unbedingt ein Nachteil sein. Ein stets wechselndes Angebot hält nun einmal das Interesse wach, im Gegensatz zu den permanenten Expositionen, deren Echo in der eigenen Stadt einst durch jenen "sterbenden Münchner" im "Simplicissimus" karikiert wurde, der, wenn er diesmal mit dem Leben davon kommt, "auch amal in die Pinakothek" gehen will. Die Taipeier Kunsthalle ist dagegen zuerst und vor allem ein Museum für die Bürger von Stadt und Umgebung, und die 700 000 Besucher, die das Museum jährlich zu verzeichnen hat, dürften sich zum größten Teil aus ihnen rekrutieren. Diese Zahl reicht zwar nicht an die Zwei Millionen-Marke des Palastmuseums heran, aber die Kunsthalle wird schließlich auch nicht, wie jenes, ganzjährig von unzähligen Reisegruppen "angeflogen".

Die Mühe der hundertachtzig Museumsmitarbeiter geht nicht wirkungslos am angesprochenen Publikum vorbei. Dokumentationen ausländischer Architekturpraxis, wie die vielbeachtete Schau "Architektur in New York 1970-1990", resultierten in fruchtbaren Anstößen für stadtplanerische Arbeit hierzulande.

Vom organisatorischen Standpunkt aus gesehen gibt es drei verschiedene Arten von Austellungen. Bei der ersten Kategorie liegen Organisation und Finanzierung vollständig in der Hand des Museums; das trifft für die meisten "großen" Präsentationen des Museums zu. Dann gibt es die Ausstellungen "auf Einladung", bei denen namhafte Künstler gebeten werden, eine Präsentation ihrer Werke in eigener Regie zu gestalten, während das Museum für die Kosten von Katalog und Werbematerial aufkommt. Drittens schließlich können in- und ausländische Künstler auf eigenen Antrag hin Ausstellungsflächen im Museum zur Verfügung gestellt bekommen; für alles andere, also Aufbau der Exponate, Informationsmaterial und Haftung, ist der Künstler selbst verantwortlich. Das verständliche Interesse an der prestigeträchtigen Möglichkeit einer Werkschau in der Kunsthalle Taipei spiegelt sich in der Tatsache wider, daß diese sogenannten "Antragsausstellungen" bereits bis in das Jahr 1996 ausgebucht sind.

Zweifellos sind es die "großen" Ausstellungen der ersten Kategorie, die das meiste Publikumsinteresse wecken, seien sie nun von der Kunsthalle selbst erarbeitet oder in Zusammenarbeit mit Museen des Auslands entstanden. Es gehört zu den wichtigen Aufgaben des Museums, die internationale Kunst des 20. Jahrhunderts einem breiten Publikum hierzulande überhaupt erst einmal bekanntzumachen, und daß es das mit Erfolg tut, beweisen die klangvollen Namen, die es bereits in Form großer Ausstellungen nach Taipei holen konnte: Picasso, Toulouse-Lautrec, Delvaux sowie Bauhaus und Dada. Alle Besucherrekorde freilich brach im vergangenen Jahr eine Präsentation von Gemälden und Skulpturen Joan Mirós aus der Fondation Maeght nahe dem südfranzösischen Saint-Paul de Vence, zu der sich 100 000 Kunstliebhaber drängten, davon 10 000 an einem einzigen Sonntag. 55 Plastiken eines unzweifelhaft noch berühmteren Künstlers, Auguste Rodin, fanden schließlich im Juni dieses Jahres, nach Stationen in Hongkong und Peking, ihren Weg ins TFAM, darunter so weltbekannte wie der "Denker", Teile des "Höllentors" und eine Bronzeversion des "Kusses". Es war, nebenbei gesagt, auch ein spätes Déjà-vu, bedenkt man die Tatsache, daß die moderne Skulptur Taiwans einst, in den zwanziger Jahren, unter Rodins Einfluß ihren Anfang genommen hatte.

Die Zusammenarbeit mit deutschen Museen und Institutionen, darunter dem Goethe-Institut und dem Deutschen Kulturzentrum Taipei, geht auf das Jahr 1985 zurück. Bis 1990 waren insgesamt sechs Präsentationen deutscher Gegenwartskunst sowie, in einer Übernahme vom Frankfurter Architekturmuseum, die vielbeachtete Dokumentation "Architektur in New York 1970-1990" im TFAM zu sehen. 1993 ist ein Jahr, in dem die deutsche Kunst besonders prominent auf der Agenda des Museums vertreten ist. Das gilt vor allem für die umfangreiche Ausstellung "Von der Teilung zur Wiedervereinigung: Deutsche Kunst 1945-1990" aus den Beständen des Ludwig Forums für internationale Kunst in Aachen, die im Oktober ihre Pforten öffnet. Flankiert wird sie im Juni/Juli durch eine Schau von neueren Werken Jörg Immendorffs (organisiert vom Goethe-Institut und mit Hilfe des Deutschen Kulturzentrums in einem Akt der Blitzdiplomatie nach Taipei geholt) sowie, im November, durch eine Ausstellung eines ganz anders gearteten Künstlers, des Graphikers Horst Janssen.

Derzeit befinden sich etwa 1900 Kunstwerke in der museumseigenen Sammlung. Angekauft werden schwerpunktmäßig Werke hiesiger und auslandschinesischer Künstler dieses Jahrhunderts.

Demgegenüber soll die eigene Ausstellungstätigkeit des Museums nicht in den Schatten treten. Die Schwerpunkte seiner Sammeltätigkeit - Kunst auf Taiwan vor und nach dem zweiten Weltkrieg sowie die Kunst der Auslandschinesen - stehen auch im Zentrum dieses Arbeitsbereiches. Das TFAM hat z.B. einen nicht unbeträchtlichen Beitrag zur Aufarbeitung der frühen Periode moderner Malerei auf Taiwan, der Zeit der japanischen Okkupation, und zur Wiederentdeckung zum Teil fast vergessener Künstler aus dieser Epoche geleistet. Eine umfassende Ausstellung im Jahre 1990 war diesem Zeitraum gewidmet; an sie schließt unmittelbar eine für August bis Oktober dieses Jahres vorgesehene Retrospektive "Kunst auf Taiwan1948-1993" an, die den historischen Überblick in die Gegenwart fortsetzt und jedes Jahrzehnt der Nachkriegsepoche in einer repräsentativen Auswahl vorstellt.

Unter den zahlreichen Formen, in denen Taiwans Kunst der Gegenwart präsentiert und gefördert wird, ist die "Biennale für Moderne Kunst" hervorzuheben, die 1992 zum vierten Mal stattfand. Aus einer engeren Wahl von vierzig Künstlern ermittelte die international zusammengesetzte Jury sechs Preisträger, die in einer Ausstellung dem Publikum vorgestellt wurden.

Neben den traditionellen Formen der bildenden Kunst pflegt das TFAM besonders auch die Fotografie (zuletzt besonders spektakulär durch eine Schau von Dokumentaraufnahmen der Reportergruppe "Magnum" vertreten, die von den Werken Robert Capas aus den dreißiger Jahren bis in die Gegenwart reichte), aber auch Architektur und Stadtplanung. Schließlich beginnt es seine Aktivitäten auch nach außen zu richten, mit Ausstellungen in Japan (1990), New York (1992) und, in Verbindung mit dem Rat für kulturelle Planung und Entwicklung und dem Außenministerium, in Moskau (1993). Erstmals wurde dieses Jahr auch ein Vertreter zur Biennale in Venedig entsandt, mit der Aufgabe, vor Ort über Taiwans Gegenwartskunst zu informieren.

Die Vorbereitung, Durchführung und Koordination all dieser Expositionen und Aktivitäten liegt in den Händen der fünfzehn Mitglieder der Ausstellungsabteilung. Ihre Aufgabe ist nicht gerade einfach: bereits die schiere Größe des vorhandenen Raumes, 11 000 Quadratmeter Ausstellungsfläche, die schließlich auch gefüllt sein will, ist für sie eher ein Fluch als ein Segen. Kopfzerbrechen bereitet auch die Frage der Finanzierung der "großen" Ausstellungen. Trotz eines Ausstellungsbudgets von jährlich etwa 1,5 Millionen US$ muß in der Regel auf Zuschüsse des Rates für kulturelle Planung und Entwicklung sowie von Firmen und Verbänden zurückgegriffen werden. Private Kulturförderung, auf Taiwan bisher weniger prominent als in anderen Ländern, soll in Zukunft auch durch besondere Veranstaltungen stärker angeregt werden.

Der - neben Sammlung und Ausstellungen - dritte große Aufgabenbereich des Museums läßt sich mit den Worten "Vorträge und Symposien" sowie "Museumspädagogik und Öffentlichkeitsarbeit" umschreiben. Neben regelmäßig stattfindenden öffentlichen Vorträgen - die sich teils mit einer laufenden Ausstellung, teils mit allgemeinen Themen der modernen Kunst beschäftigen - hat die Kunsthalle Taipei bisher vier internationale Symposien veranstaltet: über "Dada", über "China und die moderne Kunst", über künstlerische Tendenzen in der Republik China sowie im vergangenen Jahr über "Östliche Ästhetik und moderne Kunst".

Zu den kunstwissenschaftlichen Publikationen, die das Museum in regelmäßiger Folge herausbringt, gehört neben den Ausstellungskatalogen, einem jährlich neu erscheinenden Sammlungsverzeichnis sowie Einzelmonographien vor allem auch die Zweimonatsschrift "Modern Art" (現代美術). In ihr finden sich wissenschaftliche und kunstkritische Originalartikel, wichtige fremdsprachige Aufsätze zur modernen Kunst in chinesischer Übersetzung sowie Sonderbeiträge und Dokumentationsmaterial zu gleichzeitig laufenden Ausstellungen.

Solchen vor allem für Spezialisten bestimmten Aktivitäten steht eine wahre Fülle kunstpädagogischer Veranstaltungen gegenüber, die für die breite Öffentlichkeit bestimmt sind und die beweisen, daß das Museum seinen Erziehungsauftrag in der Tat sehr ernst nimmt. Mittlerweile werden innerhalb der Kunsthalle verschiedene Kurse über Gegenstände wie Malerei, Kalligraphie, Kunsthandwerk, Kunstbetrachtung sowie Malstunden für Kinder abgehalten, an denen zur Zeit etwa tausend Personen jeden Alters teilnehmen. Hinzu kommen Veranstaltungen an bestimmten Feiertagen, die sich an unterschiedliche Zielgruppen richten. Über den Rahmen des Museums, ja der Stadt Taipei hinaus versucht die Kunsthalle, die Breitenwirkung ihrer kunstpädagogischen Aktivitäten durch regelmäßige Seminare für Kunsterzieher zu erweitern. Schließlich ist in diesem Zusammenhang noch die bereits erwähnte, jedermann zugängliche Bibliothek zu nennen, die über fast 18 000 Bände und 900 Videofilme verfügt.

Der "Erziehungsauftrag" des Museums ist allerdings, alles in allem, noch sehr viel weiter gefaßt. Denn seine Existenz schlechthin verdankt es ja nicht zuletzt der Aufgabe, ein breiteres Publikum mit dem Konzept "Moderne Kunst" überhaupt erst einmal vertraut zu machen, und es tut dies mit seiner Sammel- und Ausstellungstätigkeit nicht weniger als mit Vorträgen und kunstpädagogischer Arbeit. Obgleich alle drei erwähnten Richtungen in Taiwans Gegenwartskunst vom Museum gepflegt werden, kann kein Zweifel bestehen, daß gerade die Avantgarde durch die Gründung und die Aktivitäten des Museums beachtliche Unterstützung erfahren hat. Als ein Beispiel dafür kann die erwähnte Biennale moderner Kunst gelten, die sich ausdrücklich der Förderung dieser Richtung, eben der im eigentlichen Sinne "modernen" Kunst, verschrieben hat, während Avantgardekünstler in anderen Wettbewerbsausstellungen noch kaum berücksichtigt werden.

Von Bedeutung ist die Kunsthalle auch als Gegengewicht zu manchen kommerziellen Tendenzen in Taiwans Galerienlandschaft. Auf einen eher technischen Punkt, der manchem nicht sofort in den Sinn kommen würde, machte vor einiger Zeit ein hiesiger Maler aufmerksam: erst die Existenz des Taipeier Museums (und seines "Schwesterschiffes" in Taichung) hat es Künstlern ermöglicht, Werke in großen Formaten zu schaffen, für die sonst weder Privathäuser noch Galerien und oft auch nicht die Ateliers der Künstler selbst genug Platz bieten. Einer der Preisträger der letztjährigen Biennale sah sein Werk zum ersten Mal in voller Größe, als es im Ausstellungssaal der Kunsthalle hing; gearbeitet hatte er aus Platzgründen nur an der zusammengefalteten Leinwand.

Daß Aktivitäten des Museums auch über den rein künstlerischen Rahmen hinaus in gesellschaftliche Diskussionen einzugreifen vermögen, bewies z.B. eine aus Paris übernommene Ausstellung über "Kunst und Stadtentwicklung in Frankreich". Als die Schau Ende 1991 nach Taipei kam, wurde gerade über ein neues Gesetz verhandelt, welches vorsieht, daß ein Prozent der Ausgaben für öffentliche Gebäude der künstlerischen Gestaltung reserviert sein soll (dieses Gesetz wurde inzwischen vom Legislativ-Yüan verabschiedet). Die öffentliche Debatte wies sogleich auf diese Koinzidenz hin und stellte Überlegungen und Vergleiche zur Situation auf Taiwan an. Der Präfekt des Kreises Taipei besuchte mit dreizehn Mitarbeitern und Beratern die Ausstellung und diskutierte anschließend darüber, in welchem Maße die dort gewonnenen Anregungen für die eigene stadtplanerische Arbeit fruchtbar gemacht werden könnten.

Die Arbeit des TFAM und ihre Resonanz beweisen, daß es kein Elfenbeinturm einer vom Leben getrennten Kunst, sondern ein wichtiger Faktor in der kulturellen und gesellschaftlichen Entwicklung Taiwans ist. Besseres läßt sich von einem Museum, das demnächst in sein zweites Jahrzehnt geht, eigentlich gar nicht sagen.

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